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Indirekte Nutzung von SAP: Was ist wirklich lizenzpflichtig?

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Die Unsicherheiten zur indirekten SAP-Nutzung bewegen SAP-Anwenderunternehmen und SAP-Partner gleichermaßen. Sobald ein Kunde eine Drittapplikation (Eigenentwicklung des Kunden oder ein Programm eines Drittanbieters) einsetzt, die über eine Schnittstelle Daten in den SAP-Datenbanken abfragt oder verändert, sollen Kunden dafür zusätzliche Lizenz- und Wartungsgebühren bezahlen. Unternehmen mit Digitalisierungsideen prüfen vor diesem Hintergrund die lizenztechnischen Auswirkungen des Einsatzes von SAP-Technologien und von Partnerlösungen.

Wir baten Jürgen Beckers, Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei Rechtsanwälte BDH, die auf die Beratung von Unternehmen zu Fragen des Software- und IT-Rechts spezialisiert ist, um eine Bewertung der Situation, Lösungsmöglichkeiten und Empfehlungen für SAP-Anwenderunternehmen und SAP-Partner. Ferner fragten wir ihn, wie er die Lizenzfrage für die Nutzung der SAP Cloud Platform einschätzt.

 

Herr Beckers, wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion zur „indirekten SAP-Nutzung“ — gibt es auf Seite der SAP-Kunden und SAP-Partner Klarheit oder Unsicherheit?

Jürgen BeckersSolange wir keine rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen des europäischen Gerichtshofs oder deutscher Gerichte vorliegen haben, die besagen, dass für indirekte Nutzung keine Lizenzgebühren zu zahlen sind, verbleibt immer ein Stück Rechtsunsicherheit bei den SAP-Kunden und SAP-Partnern.

In juristischen Fachkreisen sieht das allerdings anders aus. Hier gibt es mittlerweile einen klaren Mainstream, der indirekte Nutzung nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen als lizenzpflichtig ansieht (z.B. bei Programmen, die keine eigenständige Funktionalität haben, außer die Anzahl der direkten Nutzer zu poolen, um so die Lizenzgebühren für die direkte Nutzung zu reduzieren, sog. Multiplexing).

Abgeleitet wird diese Rechtsmeinung u.a. aus dem 10. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, die für alle EU-Staaten gilt. Satz 1 des 10. Erwägungsgrundes lautet wie folgt: „Die Funktion von Computerprogrammen besteht darin, mit den anderen Komponenten eines Computersystems und den Benutzern in Verbindung zu treten und zu operieren.“

Deshalb vertreten die Kollegen, die sich gegen eine Lizenzpflicht von indirekter Nutzung aussprechen, dass die indirekte Nutzung einer Software durch Drittprogramme zur „bestimmungsgemäßen“ und damit lizenzfreien Nutzung einer rechtmäßig erworbenen Lizenz zur direkten Nutzung der Software gehört und nicht zusätzlich zu vergüten ist.

 

Gibt es diese Fragestellung bei anderen ERP-Herstellern auch?

Ja, aber nach meiner Kenntnis sind die Lizenzgebühren, die andere Hersteller für indirekte Nutzung verlangen, nicht so hoch, wie im SAP-Ökosystem. Insoweit kocht das Thema – zumindest im Moment – in den anderen Ökosystemen nicht ganz so hoch. Hinzu kommt, dass SAP-Systeme zumindest in Deutschland einen sehr hohen Marktanteil haben und somit viele Unternehmen betroffen sind.

 

Die Lizenz-Diskussion dreht sich offenbar hauptsächlich um die „NetWeaver Foundation License for Third Party Applications“. Wie bewerten Sie die Lizenzpflicht hier — und bei anderen Schnittstellen?

Das ist so nicht ganz richtig. Das Problem der indirekten Nutzung betrifft alle Third Party Applications (Partnerlösungen), die mit SAP über eine Schnittstelle kommunizieren, also auch jene Produkte, die außerhalb der NetWeaver Runtime-Umgebung ablaufen.

Eine Lizenz für NetWeaver Foundation for Third Party Applications benötigen Kunden nur dann, wenn sie Partnerlösungen oder Eigenentwicklungen (in der Terminologie von SAP als „Third Party Applications“ bezeichnet) einsetzen, die in der NetWeaver Runtime-Umgebung ablaufen. Da Partnerlösungen aber häufig selbstständig (ohne NetWeaver) ablauffähig sind und in der Kommunikation mit den SAP-Anwendungen und der SAP-Datenbank unterschiedlichste Schnittstellen nutzen, ist das Lizenzthema um NetWeaver nach meiner Wahrnehmung nur ein kleiner Teil des gesamten Themenkomplexes der indirekten Nutzung.

Streng genommen geht es bei der Lizenzierung von NetWeaver Foundation for Third Party Applications überhaupt nicht um eine „indirekte Nutzung“ von SAP, sondern um das Recht, eine Partnerlösung auf der NetWeaver Runtime-Umgebung ablaufen zu lassen, während es bei der „indirekten Nutzung“ um das Recht geht, dass Third Party Applications mit den SAP-Anwendungen und der SAP-Datenbanken über Schnittstellen kommunizieren und Daten austauschen dürfen.

Betrachtet man nur die Lizenzpflicht für die SAP NetWeaver Foundation License for Third Party Applications, so ist es für mich als Jurist nur schwer nachvollziehbar, warum ein Kunde, der die NetWeaver Runtime-Umgebung bereits für den Einsatz seiner SAP Applikationen lizenziert hat, nun nochmals eine Lizenz dafür erwerben muss, dass er eine Third Party Application (Partnerlösungen oder Eigenentwicklungen) in der NetWeaver Runtime-Umgebung ablaufen lassen darf. Ich teile hier die Meinung zahlreicher Kollegen, die eine solche Lizenzpraxis von SAP sowohl aus urheberrechtlicher, vertrags- und wettbewerbsrechtlicher Sicht für nicht haltbar ansehen. In gewisser Weise wirkt diese Lizenzpflicht für den Einsatz von Third Party Applications in der NetWeaver Runtime-Umgebung wie eine Art „urheberrechtlicher Strafzoll“.

 

Sie haben diese Lizenzvereinbarungen vor dem Hintergrund des Vertragsrechts und des Urheberrechts untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Der SAP-Partnerverein „IA4SP“ (International Association for SAP Partners e.V.) hatte meine Kanzlei Ende 2015 gebeten, ihn bei der juristischen Aufbereitung des Themas indirekte SAP Nutzung zu unterstützen. Für unsere juristische Analyse von indirekter SAP Nutzung haben wir weder bestimmte AGB noch individuelle Lizenzvereinbarungen der SAP untersucht. Vielmehr haben wir einen Fragebogen entwickelt, in dem wir SAP-Partner gebeten haben, uns anonym zu erläutern, wie ihre Programme in der SAP-Umgebung ablaufen und mit SAP-Anwendungen und/oder der SAP-Datenbank kommunizieren. Die Ergebnisse haben wir zusammen mit einem auf Lizenzthemen spezialisierten und gerichtlich vereidigten IT-Sachverständigen analysiert, um bestimmte, für die urheberrechtliche Bewertung relevante Kategorisierungen von indirekten Nutzungsformen vornehmen zu können.

Die einzelnen Kategorien wurden dann durch einen renommierten, auf Softwareurheberrecht spezialisierten Hochschulprofessor gutachterlich bewertet. Dabei ging es insbesondere um die Fragestellung, ob die jeweilige Nutzungskategorie, also die Art und Weise, wie Partnerapplikation der jeweiligen Kategorie mit SAP kommunizieren, eine urheberrechtlich zustimmungs- und damit lizenzpflichtige Nutzungsform darstellt oder nicht. Ferner haben wir untersucht, ob Nutzungskategorien, die nach dem Urheberrecht auf europäischer und nationaler Ebene nicht zustimmungspflichtig sind, durch Regelungen in AGB oder in individuellen Lizenzvereinbarungen wirksam der Zustimmungspflicht des Softwareherstellers und damit der gesonderten Lizenzpflicht unterworfen werden können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das juristische Gutachten ergeben hat, dass die derzeitige Lizenzpraxis von SAP, wonach Kunden für die Kommunikation von Third Party Applications mit SAP-Anwendungen und/oder der SAP-Datenbank über Schnittstellen — gleich in welcher Form, ob lesend, schreibend oder modifizierend — mit den urheberrechtlichen Bestimmungen auf europäischer und nationaler Ebene nicht im Einklang steht. Anderslautende Regelungen in Preis- und Konditionenlisten, AGB oder individuellen Lizenzvereinbarungen sind deshalb nach Gutachtermeinung als unwirksam anzusehen. Solange diese Rechtsauffassung jedoch noch nicht durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt worden ist, kann SAP die bisherige Lizenzpraxis weiter fortsetzen.

Fraglich ist jedoch, wie lange SAP diese Praxis am Markt noch erfolgreich durchsetzen kann. So gibt es z.B. mittlerweile zahlreiche Aufsätze von Kollegen in den für IT-Recht maßgeblichen Fachzeitschriften, die sich mit dem Thema indirekte Nutzung beschäftigen. Nach Meinung der Autoren dieser Fachaufsätze ist die indirekte Nutzung nicht gesondert lizenzpflichtig, sondern in der Lizenz für die „direkte“ Nutzung von SAP-Anwendungen und SAP-Datenbanken ohne Aufpreis enthalten. Dies gilt allerdings nur, soweit die indirekte Nutzung über Schnittstellen erfolgt und nicht dazu dient, Nutzer und Transaktionen zu poolen, um die maßgeblichen Lizenzgebühren für die direkte Nutzung zu umgehen (Multiplexing).

 

Was heißt das für Produkte von SAP-Partnern?

Folgt man der Auffassung der Rechtsexperten, die sich bislang zu dem Thema indirekte Nutzung in Fachaufsätzen geäußert haben, dann verlangt SAP in vielen Fällen zu Unrecht von den Kunden zusätzliche Lizenz- und Wartungsgebühren dafür, dass der Kunde eine Third Party Application einsetzt, die mit SAP über Schnittstellen kommuniziert. Gleichwohl sind viele Kunden verunsichert, weil sie keine Rechtsexperten sind und SAP weiterhin unverändert an seiner Lizenzpraxis zu indirekten Nutzung festhält.

Diese Verunsicherung führt leider dazu, dass Kunden ihre Kaufentscheidungen über Partnerlösungen hinausschieben oder gänzlich revidieren. M.E. schadet das dem bislang sehr erfolgreichen SAP-Ökosystem und verärgert Kunden und Partner gleichermaßen. Sowohl die IA4SP (SAP Partnerverein) als auch die DSAG (Deutschsprachige SAP Anwendergruppe e.V.) sind deshalb bemüht, mit der SAP neue Lösungen für das Problem der indirekten Nutzung zu finden.

Sollte es zeitnah nicht gelingen, eine für alle Parteien (SAP, Partner und Kunden) zufrieden stellende, nachhaltige und zukunftsgerechte Lösung zu finden, dürften die ersten Gerichtsentscheidungen in der Sache nur noch eine Frage der Zeit sein. M.E. kann das auch nicht im Sinne der SAP sein.

 

Können SAP-Kunden und SAP-Partner denn größere Sicherheit zur genauen Lizenzverpflichtung bei der indirekten Nutzung bekommen? Haben Sie eine Empfehlung?

Wie die Aufsätze in den juristischen Fachzeitschriften zeigen, gibt es einen klaren Mainstream unter den IT-Rechtsexperten, der die derzeitige Lizenzpraxis zur indirekten Nutzung in weiten Teilen für unwirksam erachtet. Wenn ein solcher Fall vor Gericht kommen würde, werden die Gerichte die entsprechenden Fachaufsätze ebenfalls lesen und für ihre Entscheidungsfindung heranziehen. Es ist m.E. mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten, dass die Gerichte sich den Meinungen der Autoren der Fachaufsätze anschließen werden.

Insoweit kann man Partnern und Kunden nur raten, sich von einem auf das Thema spezialisierten IT-Anwalt beraten zu lassen, bevor sie zusätzliche Lizenzgebühren für die indirekte Nutzung an SAP einfach akzeptieren. In der Regel geht es bei den Lizenzforderungen für indirekte Nutzung stets um viel Geld. Es lohnt sich deshalb m.E., etwaige Nachforderungen wegen indirekter Nutzung aus einem Lizenzaudit sowie Lizenzverträge vor Abschluss genau zu prüfen.

Auch sollte man sich nicht durch die im letzten Jahr gefällte Gerichtsentscheidung im DIAGEO-Fall in England verunsichern lassen. Auf Grund verfahrensrechtlicher Besonderheiten des englischen Rechts hat das Gericht nur geprüft, welche Vertragsbestimmungen aus den zwischen DIAGEO und SAP geschlossenen Verträgen das Thema indirekte Nutzung regeln und ob nach diesen Vertragsbestimmungen eine indirekte Nutzung lizenzpflichtig ist.

Eine Überprüfung der Wirksamkeit der betreffenden Vertragsbestimmungen nach der Europäischen Richtlinie für den Softwareschutz oder nach den einschlägigen urheberrechtlichen oder zivilrechtlichen Vorschriften des englischen Rechts war nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung.

 

Die zentrale Datendrehscheibe für alle Digitalisierungsszenarien soll die SAP Cloud Platform werden. Welche lizenzrechtlichen Fragen sollten sich SAP-Kunden und SAP-Partner vor einer Investition und Nutzungsentscheidung stellen?

Das Thema indirekte Nutzung spielt natürlich auch bei Cloud Plattformen eine wichtige Rolle. Wenn der Kunde erst einmal seine Daten in die Cloud Plattform überträgt und dort speichert, stellt sich auch hier die Frage, unter welchen lizenzrechtlichen Bedingungen der Kunde mit Third Party Applications (Partnerlösungen oder Eigenentwicklungen des Kunden) auf diese Daten lesend, weiterverarbeitend oder schreibend zugreifen darf.

Sofern der Kunde sich in diesem Punkt nicht alleine auf ein für ihn günstiges Gerichtsurteil verlassen will, sollte er vor seiner Investitionsentscheidung und dem Umzug seiner Daten in die Cloud sicherstellen, dass er genau versteht, welche Lizenzmechanismen hier gelten, diese in seinem Sinne verhandeln und die Verhandlungsergebnisse dann in die Verträge mit SAP klar und eindeutig einarbeiten bzw. von einem spezialisierten IT-Juristen, der sich mit dem Thema auskennt, einarbeiten lassen.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins.

 

Foto: Jürgen Beckers


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